Blogeintrag 003.

Vom Aufräumen, vom Guten, …

Blog 28.8.2017

Vom Aufräumen, vom Guten, vom Lernen im Freien, von Knöpfen und von Heimat

Wenn das Jahr oder das Schuljahr zu Ende geht, wenn bald der Urlaub beginnt, räume ich auf, hefte ich ab und sortiere ich: Unterlagen, Überbleibsel, Leftovers, Andenken, Kunst und Müll (der kann weg ;). In den Stunden zwischen Dokumentation, Evaluation, Archivierung, Steuererklärung, Mumifizierung und latenter Verzweiflung ziehen auch Erinnerungen vorbei. Ich sinniere – das kommt von SINN -, was sich verändert hat, was bleibt, was gut war und was nicht, was ich geschafft habe und wie geschafft ich bin. Und hier lest Ihr mein Fazit, natürlich nachts geschrieben:
Es ändert sich viel und vieles ändert sich zum Guten.

Zum Beispiel kommen nach 15 Jahren Fortbildungsarbeit auf einmal sechsmal mehr Teilnehmer in meine Fortbildungen. Einige kommen sicher, weil Lehrer nun eine Gehaltserhöhung in Schleswig-Holstein beantragen können und dafür 30 Fortbildungsstunden nachweisen müssen. Gleichwohl verstehen immer mehr Teilnehmer meine Ideen schneller und entwickeln sie weiter. Sie sind offen für Neues und setzen es gleich mit den Kindern um. Und dann gibt es die Teilnehmer, mit denen es erscheint, als erzählten sie mir meine eigenen Gedanken, Ideen und Wünsche. Wir teilen die Einstellung zum Lernen und Lehren. Man sagt, Effekte im Bildungssystem werden erst 15-20 Jahre nach Ursachenlegung sichtbar. Ich habe jetzt öfter das Gefühl von „Land in Sicht“ und von Begegnungen mit anderen pädagogischen Robinson Crusoes.

 

Zum Beispiel wurde ich in den letzten Monaten – Endlich! – gefragt, wie Draußen- Schule geht. Ich gab Coachings und biete neue Fortbildungen dazu an (IQSH, HWS0338, Kann ich den Käfer mitnehmen? 18.9.2017; HWS0369 Draußen-Schule – Das geht! am 22.9.17, BFF0293 am 1.6.2018). Schon 2005 wollte ich selbst eine Draußen-Schule als Fortsetzung des Waldkindergartens gründen. Doch das Land Schleswig-Holstein wollte keine Privatschulen und ich war nur ein einzelner Mensch zusammen mit zwei befreundeten Outdoor-Pädagogik Nerds. Dafür reichte meine Zeit und Kraft nicht und für meine eigenen Kinder hätte ich es nicht geschafft. Doch nun zeigen sich neue Entwicklungen und seit längerer Zeit kannst Du sogar Draußen-Pädagogik studieren. Und jetzt gehen in Schleswig- Holstein echte Schulen – echte Lehrerinnen und Lehrer mit echten Kindern in die echte Welt nach Draußen. Juhu!

 

Zum Beispiel konnte ich zwei Träume verbinden: meinen persönlichen Traum von einer Clown-Ausbildung und dem Einsatz von Humor und Körperarbeit beim Lernen und Lehren in Schule. „Lernen im Freien: Begabte müssen raus …raus aus ihrem Kopf“ – heißt eine neue Fortbildung von mir. Neulich fand sie zum ersten Mal statt (IQSH, Fortbildung, BFF0256, wieder am 18.6.2016) und es war eine wahre Freude, wie ein Fest mit Gleichgesinnten. Trotz G20-Chaos in Hamburg und obwohl erschöpft vom Endspurt im Schuljahr waren die Teilnehmer aus ganz Schleswig- Holstein angereist. Wir hatten so viel ausgelassenen Spaß beim Lernen jenseits von kognitivem Arbeitsblatt-Marathon. Egal ob mit Hühnergegacker bei „Achtung, der Fuchs kommt“ oder mit vollen Taschen beim Sachensuchen à la Pippi Langstrumpf, es nahmen alle unerwartete und nützliche Inspirationen von unserer Off-Road Pädagogik mit.

 

Und dann war da noch: DIE HEIMAT. Kann die sich ändern? Um das beantworten zu können, muss ich wissen, was Heimat oder Heimat für mich oder meine Heimat oder eine Heimat ist. Gedanken zu Flüchtlingen und Gästen aus anderen Ländern in Deutschland haben für mich das Thema Heimat interessant gemacht. Mit dem Ankommen der Flüchtlingskinder in unseren Schulen und dem Fach Deutsch als Zweitsprache (DAZ) haben die Schulen Herausforderungen ganz neuer Art, manchmal auch Überforderungen. Wie sollen wir neue Schülerinnen und Schülern, so fremde Kindern unterrichten und ihnen gar eine neue Heimat schaffen, wenn wir nicht wissen, was Heimat für uns selbst ist. Heimat klingt vielleicht langweilig, angestaubt, nach Trachtenverein, nach erzwungener Tradition oder gar nach Nationalismus. Um so größer war meine Lust daran, den Begriff zu entstauben. Ich bot zum erstem Mal eine Fortbildung zum Thema Heimat an (IQSH, HWS0357 am 8.5.2017, Eigene Heimat – Ferne Heimat – Neue Heimat finden: Lokales und Globales Lernen). Ich hatte das Ziel, dass wir Heimat wieder fühlen können und fühlen dürfen und genussvoll erleben. Das hat wunderbar funktioniert. Gegenstände – wie Knöpfe und Briefmarken – haben uns inspiriert, mit eigenen Geschichten ein wenig Geschichte zu schreiben und ein bisschen Heimat zu entdecken. Manchmal wurde daraus ganz mutig sogar ein großes, berührendes Gefühl, das wir teilen haben konnten. Ich bin dankbar für die Offenheit meiner Fortbildungsgäste, für Ihren Humor und Ihren Mut, Emotionen zu zeigen. Die Fortbildung selbst wurde wie ein Erinnerungs-Stück im großen Puzzle Heimat.

Hier lest Ihr zum Anschluss meine Geschichte. Mich hatte als Geschichten-Schreib- Anlass ein mittelgroßer, brauner Knebelknopf ausgewählt. Er hat mir diese Geschichte erzählt, eine Erinnerung und eine Facette von Heimat für mich. Ich habe daraus einen Brief gemacht. Ja, ja, ja, was man so alles beim Aufräumen findet.

Brief an einen Knopf

Lieber Knopf, Du bist ein brauner, mittelgroßer Knebelknopf und deine Enden wie deine Öse sind aus Metall. Vielleicht hast du einmal an einem Mantel gehangen und er sicher auch an dir. Vielleicht träumtet ihr nur davon, aneinander zu hängen. Ich fühle mich an einen Kindheitswunsch erinnert: ich träumte – ich war vielleicht 12 Jahre alt – von einem dunkelblauen Duffle-Coat mit blau-grün-rot kariertem Schottenmuster in der Kapuze. Er sollte aus blauer Wolle sein. Ich weiß heute nicht, ob ich so einen Mantel wirklich besessen habe. Ich muss einmal meine Mutter fragen, die schon über 80 Jahre alt ist. Kleidungsstücke können Heimat sein, eine Heimat, die du auf der Haut trägst und mit dir herumtragen kannst. Ich bin keine Schottin. Ich bin Norddeutsche. Schleswig-Holsteinerin, fast eine Dänin. Deshalb bist du, Duffle-Coat, keine Nationaltracht für mich. Nationaltrachten zeigen, wohin ein Mensch sich zugehörig fühlt. Ich hätte gern auch ein Fischerhemd gehabt, ich liebe gestreifte Pullover und besitze sogar ein Dirndl. Es ist einfach ein sehr schönes Kleid. Doch zuhause, heimatlich fühle ich mich im Dirndl nicht. Es ist eng und zu geschnürt. Egal, wie warm es ist oder wie es dir geht: Du musst darin Haltung bewahren. Du repräsentierst.
Ob ich dich jemals zugeknöpft habe, lieber Knopf, erinnere ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich je in deinem Mantel wohnte. Ich weiß noch, dass wir früher nicht viel Geld hatten, dass wir Kleidung auftragen mussten, dass meine Oma Kleidung für uns besorgte. Meine Mutter war darüber vielleicht froh, Oma ganz sicher, denn sie war Mutter in schlechten Kriegs-Zeiten gewesen. Und jetzt gab es alles und noch mehr als man brauchte. Ich habe die Kleidung oft nicht gemocht, die ich tragen musste, ich durfte mich auch nicht beschweren. Das wäre undankbar gewesen. Und ich konnte Wolle nicht tragen und musste es dennoch. Sie hat damals so unerträglich gekratzt.

So weiß ich nicht, lieber Knopf, ob es deinen Mantel aus dunkelblauer Wolle, ein Duffle-Coat je gab.

Alles Gute, deine Hanna

Du bist ein brauner Knebel-Knopf.